Patagonien „light“ – Eine Radtour – 2. Teil

Patagonien/Argentinien – Chile 8008 sm von Stavoren
7.03. – 17.03.2019

Puerto Octay – Entre Lagos
Wir machen Camping
Anstiege von 6 % kann ich über einen längeren Zeitraum treten. Ab 8% wünsche ich mir ein paar Zähne mehr an meinem Hinterrad. Aus Puerto Octay hinaus schaffe ich die gut 8 % mit Unterstützung meines Tourguides. Bei langen Stücken kommt auch er, mich neben sich herschiebend, an seine Grenzen. Aber ich bin ganz zuversichtlich, dass Muskeln und Kondition wachsen werden und die Schieberei bald ein Ende haben wird. Immerhin überholen wir eine geführte MTB-Männer-Gruppe, die sich langsam den Anstieg hinaufarbeitet. Die 58 km nach Entre Lagos sind gut asphaltiert, mit sanften Hügeln. Inzwischen hat es angefangen zu regnen. Die MTB‘ler, einige mit flatternden Regencapes, überholen uns. Sieht lustig aus 🙂 ! Den bunten Regenschutz kenne ich nur von radelnden älteren Herrschaften, die auf Einkaufstour sind. Der Regen wird heftiger und wir warten unter Bäumen, bis der Regen etwas weniger wird. Weiter geht’s, vorbei am Lago Rupanco, wo einiges an Forellen und Lachsen herumschwimmen soll.

Es braut sich was zusammen

Ein wenig Schutz unter Bäumen

Lago Rupanco

Als wir den Campingplatz Puyehue in Entre Lagos erreichen, hat es aufgehört zu regnen und die Sonne scheint. Ideales Campingwetter 🙂 ! Der Zeltaufbau klappt schnell und unproblematisch. Unsere Packtaschen finden in dem 3-Personen-Kuppelzelt noch gut Platz. Wir können einziehen! Jeder Zeltplatz hat einen Wasseranschluss mit Waschbecken und einen überdachten Sitzplatz mit Steckdose. Die Duschen sind sehr einfach aber warm! Auf unserem Tisch hat es sich eine Katze gemütlich gemacht.

In der beginnenden Nachsaison steht außer uns nur noch ein weiteres Zelt auf dem Platz. Spaziert man durch das Tor am Ende des abgezäunten Wiesengeländes, breitet sich der Lago Puyehue, mit einer wunderschönen Aussicht auf die umliegenden Berge und den gleichnamigen Vulkan, vor einem aus. Ein Apfelbaum, dick behangen mit reifen Äpfeln, steht mitten auf dem Campingplatz zur freien Bedienung.

Lago Puyue mit gleichnamigem Vulkan im Hintergrund

Bei 6 Grad Außentemperatur, im Zelt 10 Grad, erleben wir unsere bisher kälteste Nacht auf der Radreise. Eingemummelt in Skiunterwäsche, Socken und Fleecejacke überstehen wir in unseren Schlafsäcken (Komfortzone 5° C), die erste Nacht einigermaßen. Der Bicicleta Wein hat sicherlich auch noch das Seine dazu beigetragen 😉 . Walter jammert am nächsten Morgen etwas über Probleme im oberen Rücken. Die 10 mm dicke Isomatte, im Hüftbereich mit einem 6 mm Stück etwas aufgepolstert, könnte er auch im Schulterbereich gebrauchen. Ich hab keine Probleme und gebe dem etwas empfindlichen Mann ein Stück meiner Polsterung ab 😉 .

Kommen in Uruguay vier Rindviecher auf einen Uruguayer, sind es in Chile gefühlt vier Hunde auf einen Chilenen. Problem ist, dass sie nachtaktiv sind und die ganze Nacht ununterbrochen um die Wette kläffen.

Tagsüber liegen sie dann völlig erschöpft in Vorgärten, an Häuserecken und in Rinnsteinen herum. Gut, dass ich nie ohne Ohrstöpsel reise.

 

Bei einem Spaziergang um und durch Entre Lagos sehen wir wieder den Vulkan Osorno aus Bäumen hervorspinksen. Wir begegnen einer Frauengruppe  mit hübschen farbigen Kleidern und kunstvoll gefertigten Blumenhüten, die von richtig guten Trommlern und Trommlerinnen begleitet werden. Der Vortrommler bearbeitet seine Trommel profimäßig. Die ganze Inszenierung gilt einzig und alleine uns Frauen 🙂 . Denn heute ist internationaler „Feliz Día de la Mujer“.

Entré Lagos – Parque Nacional Puyehue
Ein Haus für uns alleine
Die nächsten 45 km auf der Ruta 215 in den Parque Nacional Puyehue machen wir bei schönstem Wetter, auf einer perfekt asphaltierten Straße, mit für mich machbaren Steigungen. So langsam entwickle ich mich zur Bergziege 🙂 !

Der Osorno an Walters Helm

links Puntiagudo, rechts Osorno

Unsere nächste Unterkunft „Centro Turistico Anticura“ liegt mitten im Nationalpark Puyehue. Cabañas, kleine Hütten, liegen versteckt im Wald, eine davon beziehen wir für die kommenden zwei Nächte. Internet und Frühstück, wie eigentlich erwartet, gibt es nicht. Nachdem das Touristenzentrum mit Restaurant im vergangenen Jahr bis auf die Grundmauern abgebrannt und an anderer Stelle im Park wieder neu aufgebaut wurde, hat sich anscheinend einiges organisatorisch geändert. Die Angaben auf der Internetseite wurden nicht angepasst. Abends kann man immerhin zwischen zwei Essen wählen. Lachs mit gebratenen Kartoffelecken und Salat (Gurke + Tomate) oder Steak mit gebratenen Kartoffelecken und Salat. Gar nicht mal so schlecht! Nur Frühstück bekommen sie nicht hin. Einen Ort mit Einkaufsmöglichkeiten gibt es weit und breit nicht. Auf unserem Weg hierher haben wir aber ein Hinweisschild gesehen, auf dem Empanadas (gefüllte Teigtaschen) angeboten werden. Das werden wir uns morgen Früh mal näher ansehen.

Unsere Cabaña

Betten satt! Hinten Schlafzimmer und Bad

Restaurant
Bei Olivia

Am kommenden Vormittag radeln wir knapp 3 km auf unserer Route, die wir gekommen sind wieder zurück, bis zu dem Schild „Empanadas“ und bekommen von Olivia ein fürstliches Frühstück serviert. Brötchen (von gestern), selbstgemachte Stachelbeer-Himbeermarmelade, Rührei, kleine Krapfen und Nescafe! Ein paar Empanadas nehmen wir für später mit.

Von unserem Cabaña aus führen kleine Rundwege durch den Wald zu verschiedenen Wasserfällen und einem Aussichtspunkt auf den Vulkan Puyehue. Die wenigen Kilometer schaffen wir heute Nachmittag noch problemlos.

Am Abend bereiten wir uns auf unsere morgige Königsetappe, die Andenquerung zurück nach Argentinien, vor. Bis nach Villa la Angostura, unserem nächsten Ziel, sind es 76 km. Die ersten 25 km geht es nur bergauf. Eine gewisse Unruhe kommt in mir schon auf. Wie viele flachere Stücke es zum Luft holen gibt, kann mein Guide nicht so genau sagen. Mich unterstützend schieben ist auf keinen Fall drin. Also gibt es nur eine Möglichkeit! Gepäck umschichten! Walter erleichtert mein Rad um gut 5 kg und macht schon mal, für den Fall, dass ich schlapp mache, eine Stelle zum Zelten aus. Ist im Niemandsland zwar nicht erlaubt, haben andere aber auch schon erfolgreich praktiziert. Was sollen sie auch sagen? Wird ja wohl keiner von einer völlig Erschöpften verlangen, dass sie über die Grenze robbt 😉 .

Über den Pass Cardenal Samore nach Villa la Angostura/Argentinien
Die große Herausforderung
Frühstücken bei Olivia verlängert die Gesamtstrecke zwar um fast 6 km, aber ohne eine richtige Grundlage geht gar nichts. Wir bekommen das Gleiche wie gestern serviert. Die Brötchen sind allerdings diesmal von vorgestern. Zusätzlich zu unseren jeweils zwei gefüllten Radflaschen bringen wir noch zwei weitere Wasserflaschen in unserem Gepäck unter und machen uns auf den Weg. Die Passstraße ist nicht stark befahren. Die chilenische Grenze passieren wir bereits nach wenigen Kilometern problemlos. Autos, die auf den häufig bis zu 8 % steilen Anstiegen an uns vorbeifahren, hupen und winken immer wieder anerkennend. Das motiviert, aber mit unseren Rädern, die für eine solche Bergstrecke eine zu dicke Übersetzung haben, ist es schon verdammt anstrengend. Zum Glück kommen immer mal wieder Stücke, an denen wir anhalten, Wasser trinken und einen Riegel essen können. Wenn ein gelbes Schild am Straßenrand auftaucht, auf dem ein Lkw rückwärts eine Rampe hinunterzurutschen droht, weiß ich, dass es schlimm wird. Dann gibt es eine Extraspur für Lkws und die Steigung klettert auf 9 – 10 %. Der Gedanke absteigen und schieben zu müssen, was fürchterlich ist, lässt mich stetig und zäh die Rampen hinaufklettern. Unseren möglichen Zeltplatz im Niemandsland lassen wir links liegen. Es läuft bei mir erstaunlich gut 🙂 !  Als wir nach gut 30 km die Passhöhe auf 1321 m erreicht haben, weiß ich, dass ich es bis Villa la Angostura schaffen werde.

Chile lassen wir

hinter uns!

Jetzt geht’s erst einmal 10 km auf einer perfekt asphaltierten Straße, mit einem super Bergpanorama bergab bis zur argentinischen Grenze. Danach gibt es noch einige gemeine Gegenanstiege bis 8 %, mit denen wir nun gar nicht gerechnet haben.

Kurz vor Villa la Angostura am Nahuel-Huapi-See vorbei

Die extrem stark befahrene Ruta 40, die durch die touristische Stadt Villa la Angostura verläuft, macht mir fast mehr zu schaffen als die steilen Anstiege auf der Passstraße. Wir haben noch keine Unterkunft, da wir ja nicht wussten, ob wir es heute bis hierher schaffen würden. Die Touristeninformation, zum Glück noch geöffnet, vermittelt uns ein nettes freies Zimmer. In dem sehr gut bewerteten Restaurant „Chop Chop“ freuen wir uns bei hervorragend zubereitetem Lamm, dass wir die Andenquerung so erfolgreich geschafft haben. Auf den ersten 25 km waren immerhin 1000 Höhenmeter mit einer durchschnittlichen Steigung von 5 % zu erklimmen. Morgen ist aktive Erholung angesagt!

Auf der Halbinsel Quetrihué im Nationalpark Nahuel-Huapi wachsen bis zu 600 Jahre alte Myrtenbäume (Arrayáns), mit einer Höhe von knapp 20 m. Die Südspitze ist ein reines Arrayán-Gebiet, durch welches man auf Holzwegen geleitet wird. Wir gehen die 3 km von Villa la Angostura bis zur Bootsablegestelle am Nahuel-Huapi-See und buchen ein One-Way-Ticket bis zur Südspitze. Die 12 km zurück durch den Nationalpark laufen wir. Bis zu der Stelle am See, wo wir mit dem Boot gestartet sind, sind es noch weitere 2 km, mit denen wir nicht gerechnet haben. Wir überlegen, die Beine noch lahm von unserer gestrigen Bergetappe, ein Taxi zurück nach Villa la Angostura zu nehmen, entscheiden uns dann doch, die 3 km noch zurückzulaufen und kommen völlig platt in unserer Unterkunft an. War etwas viel für eine aktive Erholung 😉 ! Im Restaurant Rustica essen wir die genialste Pizza seit „La Grotta“ in Medemblik/NL. Zuviel um alles zu schaffen, wird es für unsere morgige Weiterfahrt ideal verpackt. Für unsere nächsten Zeltnächte erstehen wir im Supermarkt noch eine weitere Isomatte. 10 mm steht drauf, 6 mm sind drin. Besser als nichts.

Mit dem Boot

bis zur Südspitze

der Halbinsel Quetrihu

Villa la Angostura – Camping Pichi Traful im Parque Nacional Nahuel Huapi
Eine Traumtour auf der Ruta 40
Mit 5301 km ist die Ruta 40 die längste Nationalstraße Argentiniens und eine der längsten Fernstraßen der Welt. Sie durchquert den gesamten Westen Argentiniens von Süd nach Nord, Feuerland ausgenommen. Von Meereshöhe verläuft sie durch die Steppenlandschaft von Patagonien, Pampa, Weinanbaugebiete und die hohen Berge der Anden. Da wo die Ruta 231 nach Chile abzweigt und die Ruta 40 eine Rechtskurve Richtung San Martin de los Andes macht, wird es verkehrsmäßig ruhig. Bei Sonnenschein, einer eindrucksvollen Berglandschaft, auf einem für Radfahrer perfekt asphaltiertem Seitenstreifen, erleben wir einen 53 km langen Bikertraum. Nicht nur vorbeifahrende Autos hupen und grüßen wie gewohnt, auch die Motorräder machen es den Autofahrern gleich, anerkennend den Daumen in die Höhe streckend. Das kennt Walter aus der Eifel ganz anders.

Vorbei an Seen mit herrlichen Aussichtspunkten erreichen wir den Campingplatz Pichi Traful, mitten im Nationalpark Nahuel Huapi, unmittelbar am Lago Traful gelegen.

Lago Espejo an der Ruta 40

Lago Correntoso an der Ruta 40

Lago Correntoso an der Ruta 40

Camping Pichi Traful

am Lago Traful gelegen

Auf dem 2 km langen sehr steinigen Zufahrtsweg, schneidet Walter sich an einem scharfkantigen Stein seitlich den hinteren Mantel auf. Bedeutet eine aufwendige Ausbauaktion. Der Schlauch bekommt einen Flicken und in den Mantel wird auch ein Schlauchflicken geklebt. Die kommenden zwei Nächte zelten wir mitten im Paradies. Der Lago Traful eingerahmt von Bergen und Wald, hat einen weißen Strand, Schafe und einen Fluss gibt es auch.

Das Restaurant auf dem Platz bietet Pizza, Schnitzel in Brot und Hamburger in schlechter Qualität an. Mit Bier und einem Fernet Branca lässt sich alles gut hinunterspülen. Das Frühstück mit Tostas, Marmelade, Käse, Dulce de Leche und Tee ist gar nicht mal schlecht. Dulce de Leche, das Nutella Lateinamerikas, ist ein Brotaufstrich aus Milch, Zucker und Vanille. Die Creme wird auch in Plätzchen, Eis und Kuchen verarbeitet. Morgens beim Frühstück ist es schweinekalt in der Hütte. Der gusseiserne Ofen wird nur abends ab 21 Uhr befeuert. Von einem Gasboiler aufgeheiztes Duschwasser gibt es ab 18 Uhr. Wenn gegen 20 Uhr die Sonne untergeht, wird der Generator angeworfen und es wird Licht. Um 22:30 Uhr ist es wieder stockduster. Internet und Mobilfunk gibt es hier nicht. Ein Ort um die Seele baumeln zu lassen 🙂 !

Der Haushund

6 Wochen alt – eins von 5

Schnürsenkel immer interessant

Restaurant und Aufenthaltsraum

Warm angezogen fürs Frühstück

Camping Pichi Traful – Villa Traful
Dirt Road mit knackigen Anstiegen
Villa Traful, ein kleiner Ort am Lago Traful, liegt gut 700 m über dem Meeresspiegel. Wir fahren auf der Ruta 40 wieder 25 km zurück, die gleiche Strecke, die wir vor zwei Tagen gekommen sind. Die Provinzstraße 65, die zum Ort abzweigt, sind 25 km Dirt-Road mit bissigen Anstiegen. Nur der erste Kilometer ist asphaltiert, hat dafür aber eine Steigung von 13 %. Zick Zack fahren reduziert die Steigung. Mit dem Tipp meines Guides schaffe ich es ohne abzusteigen. Der wechselnde Straßenbelag, mal lose Steine, Wellblech oder weicher Sand, dazwischen immer wieder Rampen mit bis zu 10 % Steigung (hier ist bei dem Untergrund schieben angesagt), lässt keine Freude aufkommen. Der vorübergehend einsetzende Regen ist nicht schön, reduziert aber die Staubentwicklung durch vorbeifahrende Autos 😉 !

Wir sind froh, als wir im Hostel Vulcanche ankommen. Der geflickte Mantel hat bisher gehalten! Wunderschön von Bergen und Wäldern eingerahmt, liegt Villa Traful direkt am gleichnamigen See. Die mühevolle Anfahrt hat sich gelohnt. Abends lassen wir uns die mit Kürbis gefüllten Raviolis an einer Pilzsauce (Pilze aus der Region) und die leckeren Forellen, gefangen in den glasklaren Seen, schmecken.

Eine 33 km lange Dirt-Road (RP 65) führt wieder aus Villa Traful hinaus auf die RN 237 Richtung Bariloche. Unser Hostelvater meint, dass sie in einem besseren Zustand ist, als das Stück welches wir vor zwei Tagen gekommen sind. Wir sind gespannt, ob seine Einschätzung stimmt 😉 . In einem nach „Schweizer Vorbild“ aufgebautem Dorf trinken wir das bisher beste Bier, essen Gulasch mit Reis und Sauerkraut und machen zur Abwechslung mal eine Bergwanderung. Mehr dazu im 3. und letzten Teil von „Patagonien light“ – Eine Radtour.