Rio de Janeiro/Brasilien 6665 sm von Stavoren
31.10. – 4.11.2018
Abrolhos Archipel – Rio de Janeiro – 535 sm – 104 h
Wie vorhergesagt weht ein laues Lüftchen aus Ost. Es ist motoren angesagt. Immer wieder halten wir Ausschau nach südwärts schwimmenden Walen. Endlich sichten wir den Blas und die Fluke zweier Buckelwale am Horizont. Zu weit entfernt für ein Foto. Die mit einer neuen Schnur bestückte Angel kommt endlich mal zum Einsatz. In einem gut ausgestatteten Angelladen in Salvador hat ein hilfsbereiter Mitarbeiter die völlig versalzene Angelschnur, unserer seit Jahren nicht mehr genutzten Angel, gegen eine neue ausgetauscht. Eine große Köderauswahl haben wir nicht in unserem Angelkasten. Walter packt einen Wobbler, so ein glänzendes Kunststofffischchen, an die Schnur und dann heißt es abwarten. Schon nach einer halben Stunde biegt sich die Angelrute. Ein Thunfisch hat angebissen, der sich aber, beim Versuch ihn mit der Angel ins Boot zu ziehen, vom Haken befreit. Der nächste Thunfisch beißt nach gut einer Stunde an und wird mit dem Gaff erfolgreich an Bord befördert. Essen für zwei Tage gesichert 🙂 !
Abends ist Mr. Yanmar immer noch im Einsatz. Zu Beginn der Nacht setzten wir optimistisch das Groß und die Genua 1, bergen aber alles wieder nach 2 Stunden. Das Kopfbrett vom Groß klemmt dabei etwas. Der provisorisch beigebändselte dritte Kopfbrettrutscher wird wieder abgeschnitten. Bei einem Mastrutscher in Höhe des dritten Reffs ist der Fuß gebrochen und kann erfolgreich ausgetauscht werden. Der Motor läuft die ganze Nacht hindurch und erst am frühen Morgen können wir die Genua 1 für ein paar Stunden einsetzen.
In den kommenden Tagen wechseln sich Mr. Yanmar und das Groß mit der kleinen Genua 3 immer wieder ab. Die Genua 1, die wir bei dem wenigen Wind gut gebrauchen könnten, ist nicht mehr einsetzbar. Der Skipper hat in der vergangenen Nacht dafür gesorgt, dass unsere To-Do-Liste um einen weiteren Punkt verlängert wird 😉 . Beim Hantieren am Mast öffnet er versehentlich den Fallenstopper der Genua 1 und sie rutscht 30 cm nach unten, bis der Stopper wieder geschlossen ist. Meine Aufgabe ist es, das Segel hochzuwinschen, während Walter versucht das Vorliekkeder in die Nut der Rollanlage zu führen. Nach einem kurzen Stück tut sich nichts mehr! Ich bekomme die Kurbel keinen Millimeter mehr bewegt. Ein gegenseitiges Anbrüllen gegen den Wind beginnt und die Rollen werden getauscht. Unter Einsatz seiner ganzen Muskelkraft schafft Walter es, die Genua einige weitere Zentimeter nach oben zu winschen. Es reicht aber nicht, um den Segelhals ganz durchzusetzen. Die Genua wird schließlich eingerollt. Schadensaufnahme später in Rio 🙁 !
Sauerkraut mit Kartoffelpüree und Weißen Bohnen-Bratlingen beruhigt die leicht entnervte Crew.
Während ich in der Pantry die Kochrückstände beseitige, entdeckt Walter an der Rückseite unseres Außenborders einen augenscheinlich felligen undefinierbaren Puschel. Ich pirsche mich vorsichtig mit der Kamera heran und erkenne nur an dem winzig kleinen Schnabel, dass es sich um einen Vogel handeln muss. Das merkwürdige Exemplar, definitiv kein Seevogel, hat sich an dem Tragegurt des Außenborders festgeklammert. In dem antiquarisch erworbenen Südamerikaführer Flora und Fauna von 1975, werde ich fündig. Es ist ein Tagschläfer, der in den Wäldern von Zentral- und Südamerika lebt. Am Tage entgeht dieser gefleckte grau-braune Vogel der Entdeckung dadurch, dass er sich schlank aufrichtet und sich bewegungslos mit fast geschlossenen Augen so hinsetzt, dass er von einem Stamm oder Zweig kaum zu unterscheiden ist. Wie ist er nur hierhergekommen? Vielleicht mit einem Frachter aufs Meer hinausgefahren und bei der Suche nach einem Baum auf der Aloma gelandet?
Der Tagschläfer, bereits im 16. Jahrhundert in zahlreichen Legenden und Erzählungen erwähnt, wird im Volksmund „Urutau“ genannt. Der Name stammt aus der indigenen Guarani-Sprache – aus einer Zusammensetzung von “Guyra“ = Vogel und “Tau“ = Gespenst . Daraus wurde dann Urutau (Gespenstervogel).
Die Menschen, die ihn tatsächlich schon mal gesehen oder seinen klagenden nächtlichen Ruf vernommen haben, sind selten. Einer der sagenumwobensten Vögel Brasiliens hängt den ganzen Tag unbeweglich an unserem Außenborder.
Der SailingGen, den wir in Las Palmas/Gran Canaria am Heck der Aloma montiert haben, um eine zusätzliche Energiequelle zu haben, funktioniert erfreulich gut, nachdem Walter ihn in Salvador mit einer mühevoll gebastelten Adapterplatte tiefer unter die Wasseroberfläche gebracht hat. Mit einer Leistung von bis zu 10 Ampere sind wir sehr zufrieden. Lange währt die Freude nicht. Die 15 mm dicke Platte aus Marinesperrholz bricht und der Sailinggen, gesichert mit zwei Leinen 🙂 , schwimmt hinter dem Boot. Bei der Bergungsaktion muss Walter dicht an unserem Gast vorbei, der sich bedroht fühlt und das unter seinem kleinen Schnabel befindliche riesige Maul aufreißt, welches an das Maul eines Frosches erinnert. Am nächsten Morgen ist er weg. Vielleicht hat er es ja zu einem Frachtschiff geschafft, das die brasilianische Küste anläuft.
Das Holzbrett war nur ein Provisorium und wird in Uruguay gegen eine stabile Edelstahlplatte ersetzt. Wir hatten mit einer etwas längeren Lebensdauer gerechnet.
Die Vogelsauerei auf der Aloma, die wir im September nach unserer 90 tägigen Rückkehr nach Brasilien vorgefunden haben, holt uns hier auf der Überfahrt nach Rio wieder ein. Aus unserem Baum kommen ganze Vogelnester herausgerutscht. Unglaublich, wo die Seeschwalben es sich überall gemütlich gemacht haben.
Nachdem uns der Geistervogel verlassen hat, versucht ein atlantischer Sturmtaucher eine Stunde lang erfolglos auf der Aloma zu landen. Ganz schön ausdauernd!
Wir passieren ein riesiges Ölfeld, vorbei an dem 371 m langen Spezialschiff OSX3. Das in Singapur gebaute Schiff, ist im Sommer 2013 in den brasilianischen Gewässern angekommen. Es wurde von dem Ölproduzenten OGX gemietet, um Öl aus seinem Offshore-Feld Tubarao Martelo, nordöstlich von Rio de Janeira, zu gewinnen.
Der Wind erreicht immer wieder 5 – 6 Bft. Wir denken schon an reffen, lassen es aber. Es läuft schnell und gut. Gegen Abend nimmt der Wind schon wieder auf 4 Bft ab. Später nimmt er wieder zu und wir binden das zweite Reff ins Groß. Nachdem wir Cabo Frio passiert haben, geht es gegen 1 Uhr richtig los. Eine breite Gewitterfront mit Blitz, Donner, Starkregen und bis zu 50 kn Wind hält uns auf Trab. Wir rollen die Genua 3 auf Handtuchgröße ein und entschließen uns beizudrehen, um eine ruhigere Lage zu erreichen. Für Nichtsegler: Dabei wird eine Wende gefahren, die Fockschot aber nicht gelöst, so dass die Fock nach der Wende back steht und legt sofort wieder Ruder als wollte man die nächste Wende einleiten. Das backstehende Vorsegel verhindert die Wende jedoch und das Boot treibt nun relativ stabil mit leichter Fahrt. Dummerweise haben wir vor dem Manöver vergessen den Bullenstander, eine Sicherungsleine, die eine Patenthalse verhindern soll (unkontrolliertes Umschlagen des Baums), zu lösen. Alles ist verklemmt und wir gehen mit Motorunterstützung erfolgreich wieder durch den Wind und alles nochmal von vorne. Mit 2-3 kn driften wir nun Steuerbord voraus. Sogar in die Richtung wo wir hin wollen 🙂 . Der ganze Spuk, ständig 40 – 50 kn Wind, hält zwei Stunden an.
Gegen halb vier laufen wir endlich in die ruppige Guanabara-Bucht ein. Trotz wolkenverhangenem Himmel bietet sich uns ein beeindruckendes Panorama. Wir fahren in den Club Naval Charitas, der in Niteroi auf der östlichen Seite der Bucht liegt. Für die kommenden zwei Tage können wir erstmal längsseits am Kopf eines Steges anlegen.