Insel Chiloé – Marina Quinched – Patagonien/Chile
11583 sm von Stavoren/NL
11.3. – 3.04.2020
Puerto Aguirre S 45°09’87 W 73°31’25
Canal Ferronave – Isla Las Huichas
Caleta Mariúccia – Puerto Aguirre – 68 sm
11.3. – 15.3.20
Um 9 Uhr gehen wir gemeinsam mit der KALIM Anker auf. Erst gegen Mittag zeigen sich einige blaue Flecken zwischen der dichten Wolkendecke. Es ist wunderschön, wenn das wenige Sonnenlicht, dass seinen Weg durch die Wolken schafft, die Bäume auf den bewaldeten Inselchen und Berghängen sattgrün leuchten lässt. Aus einem Seitenkanal kommt die NORWEGIAN STAR gefahren. Das 294 m lange Kreuzfahrtschiff, mit 2400 Gästen an Bord, ist in Buenos Aires gestartet und auf dem Weg nach Santiago de Chile.
Die Mit-Strömung auf dem Canal Errázuriz lässt uns gut vorankommen. Erste Lachsfarmen tauchen auf. Mehr als 1000 gibt es davon in Chile. Nach Kupfer sind Lachse das zweitwichtigste Exportgut.
Das brutale Geschäft mit dem Lachs
Chile ist nach Norwegen der zweitgrößte Produzent von Zuchtlachs weltweit. Die Lachse mögen die kalten und klaren Fjorde im Süden von Chile. Sie gehören aber nicht auf die Südhalbkugel. Wie bei Greenpeace nachzulesen, werden die Lachse in den engen Käfigen mit der 700-fachen Menge an Antibiotika behandelt wie in Norwegen. Weitesgehend unkontrolliert. Das Futter der Lachse sinkt auf den Meeresboden und lässt zusammen mit den Fäkalien der Fische eine bis zu einem Meter hohe Fäulnispampe zurück. Die Kadaver der Lachse, die die Zuchtbedingungen nicht überstehen, landen im Meer. Im Jahre 2016 hat diese Sauerei dramatische Ausmaße angenommen. Durch die Algenblüte kam es rund um die Insel Chiloé zu einer „roten Flut“, die die Existenz einheimischer Fischer und Muscheltaucher gefährdete. Sauerstoffarmut ließ Millionen von Lachse in ihren Käfigen ersticken. Muscheln, Krebse, Fische und Seehunde starben rund um die Insel Chiloé.
Trotz allem boomt das Geschäft. Es werden bis zu 800.000 Tonnen Lachs gezüchtet. In der Ostsee gibt es nur halb so viele Heringe. Die gesamte deutsche Fischereiflotte fängt pro Jahr nur ein Viertel dieser Fischmenge. Nicht nur die Umwelt wird in hohem Maße belastet. Die Lachsproduzenten gelten als rücksichtslose Arbeitgeber. Man kann nur hoffen, dass sich durch das verstärkte Eingreifen der Gewerkschaft die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den Verarbeitungsfabriken, in denen bis zu 90 % Frauen beschäftigt sind, inzwischen verbessert haben.
Marina Austral
Am Abend machen wir an einem Fingersteiger der Marina Austral fest. Jaime der Marinabetreiber hat eine kleine Steganlage gebaut, an der ungefähr fünf Boote Platz haben. Sein Wohnhaus, direkt an der Marina gelegen, ist gleichzeitig auch Clubhaus. Heiße Duschen und WiFi inklusive.
Puerto Aguirre liegt am Südufer der Isla las Huichas und hat zusammen mit den nahegelegenen Örtchen Caleta Andrade und Estero Copa 1900 EW. Einige wenige kleine Lebensmittelläden haben eine gute Auswahl an Obst, Gemüse und tiefgefrorenem Fleisch. Hinter dem Ort zweigt ein Weg zu einem Aussichtspunkt mit einem wunderschönen Ausblick auf Puerto Aguirre, die Marina Austral und die vorgelagerten Inseln ab.
Es gibt eine Schule, einen lokalen Radiosender, einen Flugplatz, eine Tankstelle direkt neben der Marina und zum Armadagebäude kann man von unserem Steg aus hinüberspucken. Zwei Gesundheitsposten haben die Verantwortung für jeweils die Hälfte der Bevölkerung. Einen der Dorfärzte, der mit Jaime befreundet ist, lernen wir bei einem Abendessen im Clubhaus kennen. Sie lassen sich das von uns mitgebrachte, zu Hühnerfrikasee verarbeitete Huhn und den Möhrensalat mit Äpfeln schmecken. Haben sie so noch nicht gegessen.
Endlich gibt es wieder brauchbares Internet und so hören wir von der Ausbreitung des Coronavirus, das inzwischen auch in Deutschland Einzug gehalten hat. Chile zählt bisher zwei Fälle. Jaime und der Dorfarzt sehen das alles ganz entspannt. Alles nur Fake, meinen die beiden. Die chilenesche Regierung will die Bevölkerung ruhigstellen, aufgrund der politischen Unruhen, die es jüngst im Lande gegeben hat. Da glauben wir nicht so wirklich dran.
Auf einer chilenischen Seite ist nachzulesen, dass geplant ist chilenische Häfen ab dem 15.3., 8 Uhr zu schließen. Vor der Weiterfahrt besorgen wir uns bei der Armada ein neues Zarpe mit Ziel Valdivia. Schwierigkeiten in Puerto Melinka und Puerto Quellón sollte es nicht geben. Ihnen sind zurzeit keine Restriktionen bekannt und wir legen Richtung Caleta Pagoda ab. KALIM, die einen Tag nach uns in Puerto Aguirre angekommen ist, ist 4 sm vor uns und biegt später in den Canal Moraleda Richtung Norden ab. Über VHS informieren wir sie über die geplante Sperrung chilenischer Häfen.
Von Backbord kommend läuft ein Versorger für eine Lachsfarm verdammt knapp vor uns durch. Der Kaptän reagiert nicht auf unser Schallsignal und kommt, nachdem wir 20° nach Backbord ausweichen, aufgeregt winkend an Deck geeilt. Da hat einer mächtig gepennt!?
Caleta Pagoda S 44°27`00 W 73°53’20
Canal Baeza – Isla Jéchia
Puerto Aguirra – Caleta Pagoda – 52 sm
15.3. – 16.3.20
Abends ankern wir auf 13 m mit 60 m Kette in der offenen, nicht sehr attraktiven Caleta Pagoda. Wir müssen bei Anfahrt des Ankerplatzes immer wieder auskuppeln, um nicht Kelp oder herumschwimmenden Leinenmüll von den Fischern in die Schraube zu bekommen.
Puerto Melinka S 43°53’90 W 73°45’00
Bahía Melinka – Isla Ascensión
Caleta Pagoda – Puerto Melinka – 39 sm
16.3. – 18.3.20
Von dem französischen Boot FRATELLI wissen wir, dass die Insel Chiloé geplant hat, sich ab Sonntag, 22.3. abzuschotten. Ab dann darf kein Boot mehr die Insel anlaufen. Es sollte zeitlich kein Problem sein, noch rechtzeitig vor Sonntag dort anzukommen. Wir gehen gegen 9 Uhr Anker auf, der erfreulicherweise ohne Kelp hochkommt. Der Himmel ist den ganzen Tag über wolkenverhangen und die Sicht durch leichten Dunst nur mäßig.
Puerto Melinka gehört wie Puerto Aguirre zur Region Aysén. Das Städtchen hat ca. 1400 EW und einen kleinen Hafen. Wir ankern am Nachmittag auf 15 m mit 60 m Kette.
Die bunten Häuser von Melinka, auf die wir von unserem Ankerplatz aus blicken, leuchten am nächsten Morgen bei strahlend blauem Himmel um die Wette. Wegen der Tide ist es nicht einfach einen geeigneten Anlandeplatz mit dem Beiboot zu finden. An dem langen Steg der Armada werden wir von einem der Mitarbeiter freundlich aber nachdrücklich aufgefordert wieder abzulegen. Nachdem wir eine Weile suchend hin und her gepaddelt sind, ziehen wir das Dinghy auf einem kleinen Sandabschnitt möglichst weit hinauf, binden es fest und klettern über Felsen hinauf auf die Straße.
Wir werden von einer netten Dame aus Melinka begrüßt. Woher wir kommen, wohin wir wollen. Oh, nach Valdivia. Viele tragen dort Masken. Verpflichtend ist es noch nicht, aber die Menschen tun es. Ehe wir uns versehen, eilt sie zu ihrem Haus und kommt mit mehreren Masken und einer Flasche Desinfektionsgel für die Hände zurück. In Melinka gibt es noch keinen Coronafall. Bei der Armada sind alle Formalitäten schnell erledigt.
Wir spazieren am Wasser entlang, von Hunden begleitet, die es in Chile in erschreckend hoher Anzahl gibt. Kormorane und Möwen sitzen auf einem Felsen und fliegen verängstigt auf, als einer unserer tierischen Begleiter, ohne böse Absicht, eine Runde durchs Wasser dreht. Viel los ist hier nicht in Melinka. In der Ortsmitte finden wir ein kleines geöffnetes Restaurant mit Pizza und Sandwiches im Angebot. Über den Fernseher in der Ecke laufen Coronanachrichten. Ein Lebensmittelladen hat ein gutes Angebot an Obst und Gemüse. Wir verschieben den Einkauf auf morgen, wenn wir in Puerto Quellón sind. Die Stadt, die auf der Insel Chiloé liegt hat 21.000 EW und mit Sicherheit ein noch umfangreiches Angebot an Lebensmitteln.
Wir erkundigen uns vorsichtshalber nochmal bei der Armada, ob es in Puerto Quellón irgendwelche Restriktionen gibt. Nein, zurzeit sind keine Einschränkungen bekannt.
Puerto Quellón S 43°07’40 W 73°37’20
Golfo de Corcovado – Isla de Chiloé
Puerto Melinka – Puerto Quellón – 50 sm
18.3. – 19.3.20
Als wir kurz vor 8 Uhr in Puerto Melinka Anker aufgehen, teilt uns die Armada über VHF mit, dass wir in Puerto Quellón nicht an Land dürfen. Hat die Armada gestern Abend von den Restriktionen noch nichts gewusst? Ist die Kommunikation zwischen den Aramadastationen so schlecht? Vielleicht gibt es die Anordnung ja auch erst seit heute Morgen. Wer weiß es? Einkäufe werden wir zukünftig nicht mehr aufschieben!
Trübes Wetter, herumschwimmende Kelpfelder, dazwischen immer wieder die Köpfe neugieriger Seebären, eine schneebedeckte Spitze eines Berges, die hinter Bäumen hervorlugt. Wir steuern Puerto Quellón über die westlichste Zufahrt an und ankern auf 12 m mit 60 m Kette. KALIM ist auch schon da. Wir melden uns über VHF bei der Armada, die uns freundlich zu verstehen gibt, dass wir nicht an Land dürfen.
Morgen werden wir gemeinsam mit KALIM die nahgelegene Caleta Estéro Pailad anlaufen.
Estéro Pailad S 42°51’80 W 73°35’40
Golfo de Corovado – Canal Queilén – Isla de Chiloé
Puerto Quellón – Estéro Pailad – 37 sm
19.3. – 20.3.20
Wir verlassen Puerto Quellón über die Nord-Zufahrt und können schon bald bei 10 – 13 kn Wind aus NNO das Groß und die Genua 1 setzen. Immerhin segeln wir 3 Stunden, bevor Mr. Yanmar wieder zum Einsatz kommt. Überall sind Netze und Bojen im Weg. Wir fahren unter einer Stromleitung hindurch, die laut Karte ausreichend hoch ist, aber optisch verdammt niedrig ausschaut, so dass sich das etwas mulmige Gefühl einstellt, was wir von einigen Brückendurchfahrten kennen.
KALIM ist schneller und einige Zeit vor uns am Ankerplatz. Als wir dort ankommen, haben Marc und Mireille schon ein wenig die Gegend erkundet. Sie haben nichts Besonderes entdeckt. Einige wenige Häuser, ein Friedhof mit reichlich Kunstblumen übersäht und eine kleine verschlossene Holzkirche. Außerdem hat es angefangen zu regnen. Wir bleiben an Bord.
Marina Quinched S 42°34’69 W 73°45’23
Entrance of Estéro Castro – Isla de Chiloé
Estéro Pailad – Marina Quinched – 35 sm
20.03. – 3.04.20
Wir kommunizieren nochmal mit Ronan von der FRATELLI, die vor drei Tagen in der Marina Quinched angekommen ist und am Steg liegt. Laut Marinabetreiber sollen wir erstmal an einer Boje vor der Marina festmachen, bis alle Formalitäten mit der Armada erledigt sind. Zwischen großen Muschelzuchtanlagen gibt es nur eine schmale Zufahrt zur Marina. Wir werden von Reinhard dem Marinabetreiber freundlich begrüßt, der wie sich herausstellt Deutscher ist und seit 35 Jahren auf Chiloé lebt. Er fotografiert alle erforderlichen Unterlagen für die Armada und geht davon aus, dass in zwei Stunden alles erledigt ist und wir an den Steg verlegen können.
Daraus wird nichts! Auch am kommenden Tag rührt sich nichts! Morgen ist Sonntag und die angekündigte Abschottung von Chiloé tritt in Kraft. Wahrscheinlich wird die Armada so lange warten, um uns dann mitzuteilen, dass wir nun leider nicht mehr an Land dürfen. Das kann sich Reinhard nun gar nicht vorstellen. Aber genauso kommt es.
Gefangen an der Boje – Ein Akt der Willkür
Wir haben Glück mit dem Wetter und Zeit! Die ALOMA wird geputzt, es wird geräumt und gewaschen. Ich wage mich an meine inzwischen bis über die Schultern gewachsenen Haare heran. Mit Hilfe einer netten Bloggerin auf Youtube schaffe ich es, die Mähne mit der genialen Haargummitechnik stufig einzukürzen. Die helfende Hand von Walter, darf natürlich nicht unerwähnt bleiben. Ergebnis gelungen!
Dank unserer LunaWLANnet Antenne von Lunatronic https://shop.lunatronic.net/produkte/wlan-an-bord-mobilfunk/ können wir das WiFi Netz der Marina super erreichen und endlich mal wieder ausgiebig mit unserem Sohn Stefan, Familie und Freunden quatschen. Wir recherchieren im Internet und versuchen uns ein Bild über Covid 19 zu machen. Das Virus, das es schafft die Welt in Panik zu versetzen. Marc und Mireille haben Probleme das WiFi Netz zu empfangen. Sie liegen in Rufweite an einer Boje hinter uns.
Von Reinhard werden wir immer wieder vertröstet und uns wird die baldige Möglichkeit an Land zu kommen in Aussicht gestellt. Wir bleiben optimistisch. Zu Beginn unseres Aufenthaltes besorgt er uns Obst und Gemüse. Ein chilenisches Ehepaar, mit Wohnsitz in Puerto Montt, kommt zur ALOMA gepaddelt und schenkt uns einen halben Sack Kartoffeln und frische fette Knoblauchzehen. Eine deutschstämmige, seit ihrem 15. Lebensjahr in Chile lebende nette Dame, lässt sich von einem Marinamitarbeiter zu unserem Boot bringen und schenkt uns einen großen Karton voll mit Lebensmitteln. Wir sind von der chilenischen Hilfsbereitschaft überwältigt.
So verstreicht ein Tag nach dem anderen ohne positive Informationen. Unser anfänglicher Optimismus bröckelt. Persönlichen Kontakt zur Armada, die in der 20 km entfernten Stadt Castro ihren Sitz hat, haben wir nicht. Die zunehmend widersprüchlicheren Aussagen vom Marinabetreiber lassen uns so langsam an derem Wahrheitsgehalt zweifeln. Gedanken, man will uns in der nicht ganz preiswerten Marina als gute Einnahmequelle festhalten, kommen unweigerlich auf! Wir schalten den deutschen Konsul in Puerto Montt ein, der endlich Bewegung in die Sache bringt. Er nimmt Kontakt zur Gesundheitsbehörde und Armada auf und bewirkt, dass wir endlich Richtung Valdivia ablegen dürfen. In der Marina Estancilla, wo wir schon vor Wochen einen Platz reserviert haben, gibt es laut Jorge dem Marinamanager zurzeit noch keine Einschränkungen.
Wir befüllen nochmal den Wassertank, was etwas kompliziert ist. Der Wasserschlauch wird mit einem Boot vom Steg bis zu unserer Mooring gezogen. Möglichst keine Landberührung! Weiterfahren dürfen wir allerdings erst, wenn die schriftliche Genehmigung der Armada vorliegt. Mit dem Zarpe macht es Reinhard nochmal ganz spannend. Einen Tag vor unserer geplanten Weiterreise überrreicht er uns endlich den von der Marina ausgefüllten Vordruck. Aus seiner Hosentasche zieht er dann demonstrativ den Armadastempel und setzt ihn auf das Zarpe. Wir können nur staunen!
Bilder: https://aloma.koeln/feuerland-patagonien-bilderreise-teil-6/