Ein tierisch schöner Tag

Port Albermarle/Falklandinseln 9757 sm von Stavoren/NL
19.12. – 21.12.2019

Der ganze Donnerstag steht unter dem Motto „Erholung“. Schlafen, essen, wieder schlafen und abends durchforsten wir unsere Festplatte mit Filmen. Von den meisten Titeln haben wir noch nie etwas gehört. In den gut drei Jahren, die wir unterwegs sind, haben wir vielleicht fünf Spielfilme gesehen. Im Internet recherieren ist zurzeit nicht möglich. Also beschließen wir alphabetisch vorzugehen. Titel wie „Der Bohrmaschinenkiller“ klammern wir erstmal aus. Der erste Film im Alphabet, „2 Guns“ hört sich auf Anhieb nicht unbedingt sehenswert an. Ein Blick in den Trailer verspricht leichte amüsante Kost. Genau das richtige für einen Erholungstag. Ich denke den nächsten Film werden wir überspringen „21 and over“.

Eine erholsame Nacht ohne zu schaukeln liegt hinter uns. Bei falkländischen sommerlichen 15 Grad, blauem Himmel und moderatem Wind machen wir uns und unser Beiboot startklar für einen Landgang. Wir ziehen das Beiboot vorsichtig an einer verrosteten Eisenrampe hoch, die vermutlich zu der alten Robbenstation gehörte, die es früher einmal hier gab. Wir gehen die wenigen Schritte bis zum Wohnhaus der Farm, kommen an einem großen Zwinger mit mehreren Hunden vorbei, deren Bellen wir hin und wieder leise bis auf die ALOMA hören. Jetzt, wo wir an ihnen vorbeigehen geben sie keinen Laut von sich. Wir suchen nach der Eingangstüre, da steht ein junger Mann winkend am Gartentor. Es ist Shaun, der Betreiber der Farm, der hier mit seiner Frau und vier Kindern wohnt. Bei einer Tasse Kaffee sitzen wir im Wohnzimmer, berichten von unserer Reise und hören uns die interessanten Geschichten über Shauns Farmerleben an. Der Brexit und der Falklandkrieg bleiben auch nicht unerwähnt. Seine Eltern haben als Teenager den Krieg miterlebt und würden niemals nach Argentinien reisen. Es kommen immer mal wieder Argentinier als Touristen auf die Falklands und schänden die Erinnnerungsstätten.
„Wieviele Menschen leben auf West-Falkland?“, wollen wir wissen. Shaun überlegt kurz und lacht: „Es müssten ungefähr 20 Erwachsene und 16 Kinder sein, von denen vier uns gehören.“ Wir staunen über den großen Fernseher, der im Wohnzimmer steht und die Geschwindigkeit, mit der sich die von Shaun aufgerufenen Google Earth Bilder aufbauen. So ganz abgeschnitten von dem Rest der Welt sind sie nun doch nicht. Das Internet ist aber auch schonmal für fast zwei Wochen ausgefallen. Sie hatten eine Geburtstagsfeier organisiert und wussten nicht wer alles kommt. Um so überraschter waren sie, als die Gäste (wahrscheinlich alle Einwohner von West Falkland) im Konvoi angereist kamen. Sie hatten sich in der Fox Bay, der nächsten Bucht, getroffen.
Eine Schule gibt es nicht auf den West Falklands. Die siebenjährige Tochter wird gemeinsam mit dem vier Jahre alten zweiten Kind unterrichtet. Ein Lehrer ist etwa einmal im Monat für eine Woche auf der Farm. Ansonsten unterrichten sie die Kinder selbst. Es ist nicht einfach, die dafür benötigte Zeit abzuzwacken. Die zu erledigende Farmarbeit ist umfangreich und anstrengend. Ein Teil des Unterrichts wird per Telefon abgehalten. In einem Jahr wird das dritte Kind vier Jahre alt. Dann wird es entspannter, denn ab drei schulpflichtigen Kindern bekommt man einen von der Regierung bezahlten Vollzeitlehrer gestellt. Mindestens drei Kinder in die Welt zu setzen lohnt sich. Seine Frau und die Kinder sind gestern nach Stanley gereist. Er hat noch einige Dinge auf der Farm zu organisieren und fliegt morgen früh von Fox Bay East nach Stanley, um mit seiner Familie die Weihnachtstage dort zu verbringen. Am 30. Dezember wollen sie wieder zurück sein.
Shauns Eltern haben eine Farm und Weideland auf den zu Ost Falkland gehörenden Inseln Speedwell Island und George Island, direkt gegenüber von Port Albermarle, getrennt durch den Falkland Sound. Shaun hat mit seiner Frau die Farm in Port Albermarle vor sechs Jahren als 23jähriger übernommen. Es ist die abgelegenste Farm auf West Falkland. Er kümmert sich um jede Menge Schafe, deren Fleisch, Fell und Wolle verkauft werden. Eine Rinderherde läuft auch auf dem unüberschaubar großen Gelände herum. Nach Übernahme der Farm gehören ihm nun auch ca. 100 Rentiere. Der Vorbesitzer hat sie auf die Falklands gebracht und gezüchtet. Glücklich ist er nicht darüber. Sie gehören nicht auf die Falklands und ungefährlich sind sie auch nicht. Seine Kinder lässt er nicht in ihre Nähe. Shaun versucht den Bestand durch regelmäßigen Abschuss konstant zu halten und verkauft Tiere einmal im Jahr an ein Restaurant in Stanley.
Wir fragen ihn, ob er Fleisch an uns verkauft. Zurzeit hat er keins, aber er muss heute Nachmittag noch fünf Schafe schlachten, damit die Hunde in seiner Abwesenheit etwas zu fressen haben. Davon kann er uns etwas abschneiden. Die Schafe sind ungefähr sechs Jahre alt und der Geschmack strenger als der von Lammfleisch. Sie essen ausschließlich das Fleisch von Schafen. Lammfleisch essen sie nicht. Die Schafe hätten auf jeden Fall bald geschlachtet werden müssen, da ihre Zähne schon so abgewetzt sind, dass sie nicht mehr richtig fressen können und verhungern würden. Von der SY Ithaca, an die Shaun sich noch sehr gut erinnern kann, haben wir gehört, dass es nicht weit entfernt Pinguine gibt. Shaun erklärt uns den Weg und wir vereinbaren mit ihm bei Rückkehr unseren Weihnachtsbraten abzuholen.

Wir gehen über das wellige Gelände mit Gräsern und niedrig wachsendem Buschwerk. Als wir auf einer kleinen Anhöhe angekommen sind, sehen wir linkerhand den weißen Sandstrand mit der Sandbank, die wir bei Einfahrt in Port Abermarle mit gebührendem Abstand passiert haben. Eine direkt an den Sandstrand angrenzende Lagune leuchtet blau aus der grünen Graslandschaft. Als wir die Anhöhe hinuntergehen, sehen wir sie, die sich bewegenden Inseln, verteilt über das weite Gelände. Alles Pinguinkolonien. Hunderte Gentoo-Pinguine stehen dicht beieinander mit ihren vor nicht so langer Zeit geschlüpften Jungen. Über ihnen kreisen agressive große Raubmöven, die versuchen ein Junges zu stibitzen. In der Nähe einer Kolonie setzen wir uns ins Gras, nicht ohne es vorher von den Gänse-Exkrementen zu säubern. Alles ist übersäht damit. Wir sitzen da und können uns an dem Naturschauspiel nicht sattsehen. Kleine grauweiße Wollknäuel kuscheln sich dicht an ein Elternteil. Schon etwas größere Junge stehen aufrecht und fressen den aus dem Meer zurückgekehrten Pinguinen die mitgebrachte Fischmahlzeit aus dem aufgerissenen Schnabel.
Dann entdecken wir den einzigen Königspinguin, von dem Shaun uns erzählt hat, der aus der Gentookolonie herausragt. Wir gehen ein wenig näher an die Kolonie heran, immer einen respektvollen Abstand einhaltend, um die Pinguine nicht zu erschrecken. Bevor wir wieder zurückgehen, wollen wir hinunter zur Lagune. Pinguine laufen im Gänsemarsch über die weite Grasfläche, auf dem Weg zu ihrer teils weit vom Wasser entfernten Kolonie. Den Magen voller Fisch und anderem Meeresgetiers. Wir überlegen es uns aber schnell anders, als wir die riesige Rinderherde grasend vor der Lagune sehen. Mit großem Abstand biegen wir vor der Herde ab. Walter ist schon ein ganzes Stück vor mir, als die Rinder sich plötzlich in meine Richtung drehen und anfangen zu rennen. Ich stolpre panikartig über den unebenen Untergrund und wir laufen bis in eine kleine Bucht, kein Terrain für Rinder.

Zurück an der Farm, biegt Shaun gerade mit dem Auto um die Ecke. Die fünf Schafe sind schon geschlachtet, das Fell abgezogen, ausgenommen und alle hängen in einem kleinen Schlachtraum blitzeblank mit den Hinterbeinen an speziellen Haken befestigt. Das alles ist in unserer dreistündigen Abwesenheit passiert. Die Schafe werden mit einem Bolzenschuss getötet. Shaun hat mit dem Schießen gewartet, bis wir einen größeren Abstand zur Farm hatten. Er war sich nicht sicher, ob es uns etwas ausmacht, die Schüsse zu hören. Vom Bolzenschuss bis zum fertig ausgenommenen Schaf braucht er acht Minuten. Ein Schaf sind für die Familie nur fünf bis sechs Mahlzeiten. Deswegen schlachtet er immer mehrere gleichzeitig, um Schaffleisch vorrätig zu haben. Daher essen sie mehr Rindfleisch. Für das Schlachten eines Rindes, Abziehen, Ausnehmen und Zerlegen braucht er drei Stunden. Das reicht für 60 Mahlzeiten. Shaun schneidet uns das Vorderbein eines Schafes ab. Bis zur Zubereitung sollte es ungefähr drei Tage abhängen. Weihnachten kann kommen.
Als wir Shaun von unserer Rinderbegegnung erzählen, winkt er ab. Die sind nicht gefährlich. Sie dachten, sie bekämen etwas zu fressen. Darauf würden wir uns trotzdem nicht verlassen. Wir hatten großes Glück, dass wir sie vor der Lagune gesehen haben. Sie sind nicht häufig dort.
Da hätte er noch etwas für uns. Zehn Kisten mit Proviant hat er vor der Vernichtung gerettet. Alles noch haltbare Lebensmittel, die für die Verpflegung bei militärischen Übungen vorgesehen waren. Die Kisten sind nicht mehr vollständig und können daher nicht mehr für den vorgesehenen Zweck verwendet werden. Wir hieven eine 10 kg schwere Kiste in unser Beiboot. Haben möchte er nichts dafür, für das Schafsbein auch nicht. Wir geben ihm für seine Kinder einen Euroschein, über den er sich sehr freut.
Bevor wir wieder hinüber zur ALOMA fahren, sehen wir einen großen Schwarm Giant Petrels, die immer wieder auf dem Wasser landen. Die Flügelspannweite beträgt bis zu 195 cm. Die Farmer mögen sie nicht so gerne, da sie schonmal Lämmer attakieren. Shaun ist bei diesen Gesprächen immer zurückhaltend. Er liebt Vögel. Delphine sind seltener geworden. Warum kann er sich auch nicht erklären. Kaum ausgesprochen schwimmt eine Schule Peale’s Delfine durch die Bucht. Nicht zu fassen. Das es die bis zu 2,20 m langen Peale’s Delfine sind, kann man schon erkennen bevor man die Tiere sieht. Die Geräusche, die sie bei ihren Sprüngen und mit ihren Schwanzflossen produzieren, sind mehrere hundert Meter entfernt wahrzunehmen. Die lauten Atemgeräusche sind auch nicht zu überhören. Als wir mit unserem Boot zur ALOMA hinüberfahren, werden wir von den Delfinen begleitet. Sie schwimmen zum Anfassen nah neben und vor uns her.

Das Schafsbein hängen wir über Nacht an unserem Geräteträger auf. Später werden wir es in die kühle Bilge legen. Das Auspacken der Proviantkiste erweist sich als ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Nudeln, Reis, Haferflocken, Erdbeermarmelade, Mais, Tunfisch, Pfirsiche, Ei- und Milchpulver, 2 kg Rindergehacktes in Sauce, Kartoffelpulver, Bohnen in Tomatensauce, Vanillesaucepulver, Käse und Margarine in der Dose, Rapsöl, Würstchen, Bacon, getrocknete Zwiebelringe, kleine Schokoladenkuchen, Mehl, Kakao, Teebeutel, Instantkaffee, Getränkepulver mit tropischem Geschmack und die verschiedensten Gewürze. Alles bis mindestens Mitte 2020 haltbar. Was für ein Tag!